Die Zerstörung der archäologischen Stätten im Irak
Immer wieder verbreitet der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) Videos seiner grausamen Taten, die zur Propaganda eingesetzt werden. Nun zeigen Videos die Zerstörung irakischer Kulturschätze. Bislang hatte der IS die antiken Kunstobjekte zumeist verkauft, um mit den Erlösen seinen Kampf zu finanzieren. Nun werden mehr und mehr Zerstörungen publik: die Ruinen der Stadt Nimrud, die antike Stadt Hatra, die zum Weltkulturerbe gehört, und möglicherweise auch die Festung von Chorsabad. Diese archäologischen Stätten liegen allesamt im heutigen Nordirak, der im Einflussbereich des IS liegt.
Auf dem Blog Gates of Niniveh bemüht sich Christopher Jones darum, die Schäden an den Skulpturen aus Hatra abzuschätzen, die im Museum in Mossul lagern. Jones analysiert zu diesem Zweck einzelne Bilder der Propaganda-Videos und vergleicht diese mit Aufnahmen der Kunstobjekte, die katalogisiert sind. Problematisch bei den Analysen ist, dass die Skulpturen aus Hatra sehr schlecht erforscht sind. Das gilt selbst für herausragende Objekte, die nun für die Nachwelt wohl verloren sind.
Einen ausführlichen Überblick zu den jüngsten Zerstörungen bietet Rainer Schreg auf seinem Blog Archaeologik. Schreg hat zahlreiche Quellen gesammelt, die über das Geschehen im Nordirak berichten. Die gesamte Nachrichtenlage ist jedoch äußerst problematisch, da die meisten Berichte nicht verifiziert werden können. Es ist im Einzelfall auch nicht zu klären, wer welche Interessen verfolgt, indem bestimmte Nachrichten verbreitet werden. Möglicherweise würden die Berichte über die Zerstörungen auch gezielt übertrieben, um eine breite Unterstützung für ein militärisches Eingreifen gegen den IS zu gewinnen. Und der IS selbst verfolgt sicherlich das Interesse, den Westen gezielt zu provozieren. Es ist jedenfalls, so mutmaßt Schreg, mehr als Ikonoklasmus, das heißt eine Bildzerstörung aus religiösen Motiven, der hier am Werk ist. Das zeigen beispielsweise die Zerstörungen der Herrscher-Statuen der Könige von Hatra. Die antike Stadt Hatra widersetzte sich Rom, also der westlichen Welt, und die Herrscher von Hatra führten später sogar den Titel „König der Araber“, erläutert Jones. Wenn nun Hatra zerstört wird, muss das deshalb vor allem als Provokation aufgefasst werden.
Die Provokationen erreichen jedenfalls ihr Ziel. Zahlreiche Stellungnahmen wurden publiziert, sobald die Zerstörungen bekannt wurden. Und selbstverständlich wurde das Vorgehen des IS von vielen Seiten verurteilt. Die Archäologin Margarete van Ess beispielsweise wurde unter anderem im heute journal des ZDF zitiert. Sie sagte, die Zerstörung der Stadt Nimrud sei für die Archäologen ein großer Verlust. Das gehe allerdings vollkommen an der Bedeutung der Sache vorbei, wie auf dem Blog Sprachen der Dinge zu lesen ist. Dass es für die Archäologie ein großer Verlust sei, das sei vollkommen klar. Die Tragweite der Verluste sei damit aber kaum erfasst. Es werde im Irak ein Stück der Menschheitsgeschichte zerstört, und wie immer man die Geschichte interpretiere, sei es vor allem wichtig, die Stätten zu erhalten, um Geschichtsschreibung überhaupt zu ermöglichen.
Alexis McBride kommentiert die Zerstörungen durch den IS dagegen ambivalent. Sie bedauere einerseits – als Archäologin – jede Zerstörung von archäologischen Artefakten. Andererseits sieht sie, wie effektiv die Zerstörung als Propaganda funktioniere. Die Empörung spiele damit dem IS wiederum in die Karten, der Entsetzen verbreiten wollte. Darüber hinaus vergleicht sie die Vernichtungen der Kulturgüter im Irak mit den Zerstörungen andernorts, denn, so McBride, es wurden schon immer bedeutende Stätten oder Monumente vernichtet, weil dies eben ein starkes Symbol sei. Sie erinnert auch an die Statue von Saddam Hussein, die 2003 gestürzt wurde. Die Aufregung, so McBride, sei nun eben so groß, weil der IS im Irak am Werk sei, nicht, weil plötzlich so vielen Menschen die vergangenen Kulturen am Herzen lägen.
Wie lassen sich solche Zerstörungen vermeiden oder aufhalten? Aufgrund der Ereignisse im Irak hatten manche Journalisten angeregt, es sei doch besser, wenn solche bedeutenden Kunstschätze im Westen deponiert würden und nicht dort, wo Terroristen so leichtes Spiel hätten, die Werke zu zerstören. Peter Brunner lehnt dies rigoros ab. Der Export der Kunstschätze sei keine Lösung. Und auch Brunner vergleicht die Zerstörungen im Irak – mit den Zerstörungen der letzten 70 Jahre in Deutschland. Es ist nicht lange her, da gingen in Deutschland zahlreiche bedeutende Kunstschätze und Bauwerke unwiederbringlich verloren. Im Westen ging man nicht besser mit bedeutenden Bau- und Kunstwerken um.
Vor allem trifft der Verlust der antiken Schätze wohl die Iraker selbst. So argumentiert auch McBride, die schreibt, die Iraker verlören ihre Identität und ihre Geschichte.